Coaching 01 Revisited - Bob Dylan und der Coach

Der Nobelpreis für Literatur 2016 ist mir willkommener Anlass, einen Text aus dem Jahr 2001 zum Einfluss Bob Dylans auf Kunst und Praxis nachhaltiger Beratung zu aktualisieren. Es geht dabei um Parallelen der dylanesken Arbeitsweise zu wesentlichen Herangehensweisen und Haltungen, die ich in meiner Praxis als Supervisor und Coach wiederfinde.

Kreatives Coaching nimmt Anleihen bei gestaltendem Handwerk und lässt sich von Kunst inspirieren. Angewandte Kunst beinhaltet die Integration verschiedener Formen. Ein herausragendes Beispiel für die Integration von Sprache, Musik, Präsentation und Botschaft ist Bob Dylan. Er gilt als die wichtigste Figur im Bereich des populären Liedes. Sein Einfluss auf die Kultur der englischsprachigen Welt - und damit mittelbar auch auf unsere Alltagskultur - lässt sich "zumindest in Bezug auf die Bereicherung der Sprache nur mit Shakespeare und der Bibel vergleichen".

 

Schön und gut - aber was interessiert das den Coach? Aus meiner Sicht kann nachhaltiges, kreatives Coaching unter vier Gesichtspunkten von der künstlerischen Gestaltungskonzeption Bob Dylans profitieren.

 

Diverses aneignen und integrieren

Dylan arbeitete stets nach dem Prinzip „Love and Theft“ indem er sich hemmungslos von allen möglichen musikalischen, literarischen und soziokulturellen Quellen beeinflussen ließ. Er sog sie wie ein Schwamm in sich auf und machte daraus etwas sehr Eigenes, das schließlich stilbildend wurde und seinerseits wieder Generationen von Künstlern beeinflusste. Er collagiert antike und modernste Quellen aller Art in seine eigenen Lieder und schafft daraus etwas Eigenes, das gleichzeitig alt und neu ist. Ganz ähnlich arbeite ich, wenn ich als Coach bekannte beraterische Standardmethoden mit alltagskuturellen Elementen und manchmal zunächst abwegig erscheinenden Ideen zu etwas Eigenem verbinde und daraus mein Motto entwickelt habe: "Der Coach stiehlt wo er kann".

 

Veränderungsbereitschaft und Präsenz

Wenn seine künstlerischen Mittel verbraucht waren, hat sich Dylan seit 1965 nie gescheut, Stilwechsel vorzunehmen und Neues zu kreieren, auch auf die Gefahr hin, sein Publikum zu verstören. Entscheidend war, sich selbst treu zu bleiben. Für den Coach ist es eine wichtige Orientierung, authentisch zu bleiben. Am besten gelingt das durch hohe Bewusstheit und Präsenz. Dylans hoch entwickelte Fähigkeit, "voll da zu sein und gleichzeitig neben sich zu stehen", ist eine künstlerische Form der Anforderung an den Coach, die Ambivalenz von Empathie und professioneller Distanz zu verkörpern.

 

Die Verbindung analoger und digitaler Elemente zu einer lebendigen Einheit

Die besondere Qualität dieser Kunst liegt in der Einheit von Sound und Wort. Sie kommt dadurch zustande, dass die Ebenen "Text, Melodie, Rhythmus, Metrum, Vortrag, instrumentale Begleitung und Akzentuierung, Klangfarbe, Lautstärke und gegebenenfalls (beim Konzert) Mimik und Gestik" situativ zusammenwirken. Dementsprechend wird jedes Werk bei jeder Aufführung neu erschaffen. Playback ist ebenso undenkbar wie beim Coaching mit System. Eine wirklich gelungene Coaching-Sequenz ist nicht mit methodischen Schablonen zu erreichen. Sie hängt unter anderem von der Einmaligkeit des Augenblicks und der beteiligten Akteure ab und ist in dieser Form nicht reproduzierbar.

 

Der Brückenschlag zwischen Qualität und allgemeiner Zugänglichkeit

"Bob Dylan befreite den öffentlichen Geschmack. Er hat mehr getan als jeder andere ...um in einem Massenpublikum eine gewisse Aufnahmebereitschaft für Geistreiches und Nicht-Triviales zu wecken, wo dererlei bislang alleiniges Vorrecht elitärer Minderheiten gewesen war." Wir übersetzen das so, das gutes Coaching sehr anspruchsvoll und gleichzeitig allgemein zugänglich sein kann. Nachhaltige Beratung kann soziokulturell bildend wirken, indem sie Menschen Zugang zu Bereichen verschafft, die ihnen bislang verschlossen waren.

 

Dieser Text ist nicht fertig. In einem Monat kann er schon wieder etwas anders aussehen. Auch hier gibt es eine Parallele zur dylanesken Arbeitsweise. Er geht ungern ins Studio um fertige Platten zu erstellen und bevorzugte stets die Live-Performance. Auf seiner „Never Ending Tour“ seit 1989 interpretiert er seine Stücke immer wieder neu. Ähnlich wie der kreative Coach, der sein methodisches und textliches Repertoire immer wieder in der aktuellen Situation neu entfaltet.

 

Zitate aus Matthias R. Schmidt: Bob Dylan und die sechziger Jahre - Aufbruch und Abkehr